Detroit weit weg?

Kategorie: Haushalt Veröffentlicht: Samstag, 03. August 2013 Geschrieben von Achim Czylwick
Achim Czylwick unterstützt die Kürzungspolitik zum "Sparen" der Stadt Witten nicht. Er fordert ein Schuldenmoratorium zur Niederschlagung aller Schulden, damit die Kommunen wieder Handlungsfähig werden!
Achim Czylwick unterstützt die Kürzungspolitik zum "Sparen" der Stadt Witten nicht. Er fordert ein Schuldenmoratorium zur Niederschlagung aller Schulden, damit die Kommunen wieder Handlungsfähig werden!

Von Achim Czylwick – Ratsmitglied (AUF Witten)

Am 18.07.2013 meldete die US Metropole Detroit Insolvenz an. Die Stadt, einst Zentrum der nordamerikanischen Autoindustrie, hat 18,5 Milliarden Dollar Schulden (14 Milliarden Euro). Die Auswirkungen für die Bürger werden dramatisch sein. Schon jetzt gibt es offiziell über 18% Arbeitslose. Fast 40% der Einwohner gelten als arm, jedes zweite Kind ist auf Lebensmittelmarken angewiesen.

Von ehemals 1,8 Millionen Einwohner sind noch 635.000 in Detroit gemeldet. Straßen und Stadtteile wirken wie eine Geisterregion. 80 000 Wohnungen stehen leer.

Kommt da nicht der Gedanke: Was steht uns eigentlich hier in Deutschland bevor? Nehmen wir nur unsere eigene Stadt und die Verhältnisse in den Kommunen.

Wittens Eigenkapital Aufgebraucht

Auch wenn, vor allem vor Wahlen wie der Bundestagswahl, die Wahrheit als erstes stirbt, ist es doch entgegen aller Schönrednerei eine Tatsache:

Witten hat sein Eigenkapital aufgebraucht und ist somit pleite.

Die Stadt an der Ruhr steht unter der kommunalen Aufsicht der Bezirksregierung Arnsberg. Diese fungiert in gewisser Weise bereits als eine Art Konkursverwalter. Die Genehmigung des Haushaltes ist davon abhängig, dass vor allem die Gläubiger, also in erster Linie die Banken, bedient werden.

Das ist der Kern der weitläufig als „Sparen“ bezeichneten Programme. Hierfür werden sogar Kinderspielplätze geschlossen. Investitionen in Straßen, Schulen und andere notwendige Maßnahmen finden aus eigenen Mitteln nicht mehr statt.

Wenn, wie mit dem sogenannten Stärkungspakt, Gelder für dringend notwendige Investitionen vom Land den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, ist nicht etwa die Bekämpfung der Überschuldung der Zweck.

Im Gegenteil: die Gemeinden müssen sich neu verschulden und dazu noch gravierende Einschnitte in ihren Bürgeraufgaben vornehmen, um die Gelder überhaupt zu erhalten. Dieser rigorose Kürzungsplan wird hier in Witten als Sanierungsplan ausgegeben.

Daseinsvorsorge nicht im Mittelpunkt

Zitat von Paul Claudel: "Die Wahrheit hat nichts zu tun mit der Zahl der Leute, die von ihr überzeugt sind."
Zitat von Paul Claudel: "Die Wahrheit hat nichts zu tun mit der Zahl der Leute, die von ihr überzeugt sind."

Aus diesem Grund entfernen sich die Kommunen immer mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe der Daseinsvorsorge. Dafür gibt es keinen Grund.

So wird der Investitionsstau in den Kommunen vom deutschen Städtetag auf ca. 130 Milliarden € beziffert.

Das entspricht der Höhe der Schulden allein der Hypo Real Bank, die vom Steuerzahler getragen werden mussten.

Abgesehen von den anderen Banken, die staatliche Hilfe bekamen, hätten also sämtliche fälligen kommunalen Investitionen alleine aus dem verbrannten Kapital der Hypo Real bedient werden können!

Konkurs für Kommunen in Planung

Noch können in Deutschland Kommunen keinen Konkurs anmelden. Doch das wird kommen.

Die Verschuldung der Staatshaushalte in Deutschland ist von 1,5 Billionen Euro 2008 auf 2,17 Billionen Euro in 2012 gestiegen. Dabei werden die Bürgschaften für die Banken erst fällig.

Das staatliche Krisenmanagement hat mit seiner Politik der Abwrackprämie und der Rettungsschirme die allgemeine Krisenanfälligkeit der kapitalistischen Weltwirtschaft auf die Staatshaushalte übertragen. Das sichert zwar die Profite der Banken und Konzerne, bedeutet aber den möglichen Staatsbankrott.

Vor diesem Hintergrund macht es aus kapitalistischer Logik heraus Sinn, die Kommunen in den Konkurs zu schicken. In Berlin gibt es bereits politische Bestrebungen, auch für die Kommunen Konkursverfahren einzuführen.

Das würde die Möglichkeit schaffen, Rechte und Rechtsansprüche, einschließlich der U 3 Betreuung, einfach aufzuheben.

Kommunen sind Teil des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Ihnen ist die Funktion zugewiesen, durch Umverteilung den Finanzkreislauf mit liquiden Mitteln aufrecht zu erhalten. Das funktioniert umso besser, je mehr die Verschuldung steigt.

Perspektivlosigkeit Überwinden

Auch in Detroit wehren sich die Menschen gegen den Ausverkauf.  Text auf dem Transparent: "Schluss mit Detroits Schulden! Arbeit, Rente, kommunale Dienstleistungen - Das schulden uns die Banken!"
Auch in Detroit wehren sich die Menschen gegen den Ausverkauf.
Text auf dem Transparent: "Schluss mit Detroits Schulden! Arbeit, Rente, kommunale Dienstleistungen - Das schulden uns die Banken!"

Die Etablierten in der Wittener Kommunalpolitik wissen genau, was ihre jeweilige Partei in Bund und Land beschlossen hat und dass diese Beschlüsse zur finanziellen Ausblutung der Kommunen führten und weiter führen werden.

Dem Bürger versichern sie aber, auf seiner Seite zu stehen. Das sind bloße Lippenbekenntnisse. Am Kern der Sache, der Umverteilung, können und wollen sie nichts ändern.

Bei keiner Partei wird dieser heuchlerische Spagat zwischen den Regierungsvorgaben aus Berlin und Düsseldorf und der Anbiederung an den Wähler so deutlich wie bei der SPD.

Die Agenda 2010 von Kanzler Schröder hat die NRW-SPD seit 2004 jährlich 9.000 Mitglieder gekostet, jetzt hat sich der Abgang auf rund 3.000 pro Jahr verlangsamt.

Diese Krise wird die örtliche SPD nicht in den Griff kriegen, und wenn sie sich noch so deutlich von ihrer ehemaligen Wunsch- und Vorzeigebürgermeisterin distanziert.

Auf die Eigene Kraft vertrauen

Im Vertrauen auf die bisherigen Repräsentanten der Politik sind die Probleme nicht lösbar. Das haben viele Menschen richtig erkannt.

Aber Ablehnung alleine reicht nicht. Der politische Kampf gegen die Ausblutung der Kommunen und für eine ausreichende kommunale Daseinsfürsorge muss mit der Forderung nach vollständiger Niederschlagung aller Schulden der Kommunen geführt werden.

Das ist, zugegebenermaßen, eine radikale Position, weil sie das Übel an der Wurzel (lat. Radix) packt. Es ist eine linke Position, weil sie damit auch die Frage aufwirft, wer eigentlich die Verfügungsgewalt besitzt über den gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum.

Die Alternative dazu wäre aber ein Verfall der Städte und Gemeinden nach Detroiter Muster. Das ist nicht akzeptabel.

Die Bundestagswahl bietet sicher eine gute Gelegenheit, solche Fragen zu diskutieren, auch mit dem Ziel, mehr aktive Menschen für eine alternative Kommunalpolitik zu gewinnen.

Nur im Vertrauen auf die eigene Kraft gibt es eine lebenswerte Zukunft.

Wer sich hier engagieren will, ist bei AUF Witten genau richtig.

 

Witten im AUFbruch 3/2013