Witten im AUFbruch 2-2017: Kein Freibrief für industriellen Feinstaub
Editorial - Witten ein Luftkurort?
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Nummer ist dem Schutz von Umwelt und Gesundheit gewidmet, bezogen auf die spezielle Situation in Witten.
Schon 2007, vor 10 Jahren, bezeichneten wir die Umweltpolitik in dieser Stadt mit den Worten Vertuschen, Verharmlosen, Abwiegeln!
Wie Sie in dieser Nummer unserer Bündniszeitung lesen können, hat sich daran nichts geändert. Doch dieser Zustand der umweltpolitischen Lethargie kann und muss geändert werden!
Bewusst konfrontieren wir das politische Establishment in Witten und die industriellen Hauptverursacher unmittelbar vor den Bundestagswahlen mit diesem Vorwurf. Niemand braucht inhaltsleere Floskeln nach dem Motto: „wählt uns, damit morgens die Sonne auf- und abends wieder untergeht!“
Wir machen in den nachfolgenden Artikeln klare Ansagen. Jeder kann dann überprüfen, wie ernsthaft die verschiedenen politischen Bewerber darauf eingehen und wessen Interessen sie wirklich vertreten.
Im Gegensatz zu 2007, als die Stadt Witten auf ihrer Homepage noch nicht einmal eine Umweltseite hatte, wird das Thema jetzt, zwar etwas versteckt, unter der Rubrik Planen, Bauen & Wohnen behandelt. Allerdings nur unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes. Abgesehen davon, dass die Ausführungen dazu im wahrsten Sinne des Wortes viel heiße Luft und wenig Substanzielles enthalten, wird dem aufmerksamen Leser auffallen, dass der Schutz vor schädlichen Industrieemissionen nicht vorkommt.
Obwohl AUF Witten seit Jahren die Gestanksbelästigung durch die Chemiefirma Degussa/Sasol, die bis heute ungeklärten gehäuften Todesfälle und Umweltvergiftung durch HP Pelzer Chemie und die Belastung der Umwelt durch Grob- und Feinstaub und Überschreitung der Grenzwerte von Nickel und Chrom im Umkreis des Edelstahlwerks öffentlich und im Rat der Stadt Witten zum Thema gemacht hat.
Witten ist der einzige Standort in NRW, dessen Stahlwerk mitten in der Stadt liegt. Das hat Auswirkungen, wie eine an Wittener Kindern durchgeführte Hot-Spot-Studie gezeigt hat.
In diesem Zusammenhang möchten wir besonders betonen, dass alle aufgetretenen Probleme technisch lösbar sind. Es liegt nur an den politischen Rahmenbedingungen, dass die einzelnen Konzerne, ohne Konsequenzen zu befürchten, ihrer Jagd nach Höchstprofiten frönen können.
Besonders deutlich wird das am sogenannten Dieselskandal, der nicht auf VW begrenzt ist. Was der Bevölkerung hier an Stickstoffdioxidbelastung zugemutet wird, ist ein Vielfaches von dem, was gesetzlich erlaubt ist. Doch selbst das Erlaubte muss gar nicht sein, weil Feinstaub komplett vermieden werden kann, beispielsweise durch die Wasserstoff-Sauerstoff-Brennstoffzellen-Technologie.
Genauso skandalös ist es, wenn bei der Feinstaubproblematik in Witten der Individualverkehr als Hauptverursacher angeprangert wird, die industriellen Emissionen dagegen künstlich auf nur 3 Prozent heruntergerechnet werden und damit vernachlässigt werden sollen. Dann braucht man nur noch Maßnahmen gegen Autofahrer, ansonsten ist Witten quasi ein Luftkurort.
Ein Wort noch zu den Mitarbeitern in den angeschuldigten Firmen. Sie machen sich ja schon seit Jahren berechtigte Sorgen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Jetzt kommen auch noch wir und fordern Umweltauflagen, die bestimmt nicht kostenlos sind.
Doch sind die 74 t Schwerlasttransporter, die den heißen Stahl von Witten nach Krefeld transportieren, ihre Entwicklung, Produktion, Betrieb und die damit verbundene Logistik etwa kostenlos? Stattdessen wurde doch auf die Nutzung der bestehenden Schienenanbindung zwischen beiden Stahlstandorten verzichtet, die mit weniger Aufwand und wesentlich umweltschonender hätte optimiert werden können. Doch was den Ausschlag gibt, ist das Profitstreben und sonst nichts. Weder die Gesundheit der Bevölkerung, noch die der dort arbeitenden Menschen und ihrer Familien spielen hier eine Rolle. Die Arbeiter in den Hallen von DEW schlucken den ganzen Dreck als erste und in höherem Maße. Selbst bei im Umkreis wohnenden Kindern tauchen erhöhte Nickel und Chromwerte im Blut auf. Wie hoch wird ihr Krebsrisiko in Zukunft sein?
Der nebenstehende Artikel dazu zeigt: im Gegensatz zum Management und den ihm hörigen Politikern sitzen wir alle im selben Boot.
Umweltschutz gegen Arbeitsplätze auszuspielen ist ein zynisches und verbrecherisches Spiel, das im Interesse unserer Zukunft unterbunden werden muss.
6-jährige: Chrom- und Nickelallergie
Seit Jahren sind die Messwerte von Chrom und Nickel in der Atemluft rund um das Stahlwerk zum Teil drastisch erhöht. Doch die aufsichtsführenden Behörden, angefangen von der Stadt Witten über die Bezirksregierung Arnsberg bis hin zum Landesamt für Umwelt- und Verbraucherschutz LANUV ergreifen keine weiteren Maßnahmen, weil angeblich die Jahresmittelwerte nicht überschritten werden.
Dabei ist schon die Festlegung von Grenzwerten biologisch gesehen reine Willkür, eine Überschreitung natürlich erst recht!
Biologische Systeme wie der menschliche Körper, vor allem Kinder, ältere Menschen und Kranke, reagieren nicht auf rechnerische Mittelwerte.
Sondern sie nehmen erhöhte Schadstoffkonzentrationen auf und scheiden diese nur bedingt wieder aus.
Diese zeitweiligen Vergiftungen, auch wenn sie nicht ständig messbar sind, führen zu Schädigungen.
Diese Schäden sind auch nachweisbar, wenn sie untersucht werden.
Im April 2009 veröffentlichte das LANUV eine von ihm in Auftrag gegebene Edelstahlstudie 2005 - 2007, wie sich die gesundheitlichen Belastungen durch erhöhte Chrom- und Nickelemissionen an den Stahlstandorten Bochum, Witten, Siegen und Krefeld auf ca. 6-jährige Kinder und ihre Mütter auswirken, die imEinzugsbereich der Stahlwerke wohnen.
Spitzenbelastungen wurden in Krefeld gefunden, gefolgt von Witten. Kein Stahlstandort war unauffällig.
In Abhängigkeit der Belastung durch Chrom und Nickel ergaben sich erhöhte Konzentrationen im Urin der Kinder und Mütter. Wo die Konzentration am höchsten war, gab es auch am meisten allergische Reaktionen auf Nickel und auch Atemwegsprobleme wie Pseudokrupp, Bronchitis, Asthma, Lungenentzündung. Diese Erscheinungen wurden zwischen 17 bis 35 Prozent häufiger gefunden, als im übrigen Durchschnitt der Kinder.
Auch das Lungenvolumen nahm bei den betroffenen Kindern im Vergleich zu ihren relativ unbelasteten Altersgenossen bereits um 1 bis 4 Prozent ab, obwohl sie noch das ganze Leben vor sich haben.
Diese äußerst bedenklichen Untersuchungsergebnisse sind nur die Spitze des Eisbergs.
Was an Chrom und Nickel im Urin ausgeschieden wird, ist nur ein Bruchteil dessen, was der Körper aufnimmt. Jeder, der schon mal eine Schwermetallausleitung mitgemacht hat, weiß, dass Schwermetalle im Körper feste Verbindungen eingehen und nur mit großem Aufwand und nicht ohne Nebenwirkungen wieder gelöst werden können.
Auch wird in dieser Studie nicht berücksichtigt, dass aufgrund des erhöhten Feinstaubeintrags mit Partikeln bis 2,5 tausendstel Millimetergröße die Schwermetalle über den Feinstaub praktisch in die Lungenbläschen eindringen und dort Gewebeveränderungen auslösen.
Das sind Veränderungen, die sich über Jahrzehnte entwickeln und bis zum Versagen des Sauerstoffaustauschs oder sogar Krebs führen können.
Diese Langzeitwirkungen konnte die Studie natürlich noch nicht untersuchen. Aber ausgehend vom nationalen Krebsregister haben wir in einer Großstadt wie Witten jährlich circa 300 Neuerkrankungen an Krebs. Wieviel davon gehen aufs Konto der Edelstahlerzeugung?
Solche Überlegungen zeigen eines doch sehr klar: sich mit der Vergiftung am Arbeitsplatz abzufinden oder aus Angst um den Arbeitsplatz auf die Forderung nach umfassendem Arbeitsschutz zu verzichten, hat keine Perspektive: weder für einen selbst noch für unsere Nachkommen.
Kein Freibrief für industriellen Feinstaub
The show goes on. Und siehe es begab sich zu der Zeit, da ich als Wittener Bürger den Medien entnehmen konnte, dass die Piraten Partei Feinstaubmessstationen verloste und das Los fiel unter anderem auf mich. Flugs wurde die Station daheim an-gebracht und die Messergebnisse zum Thema Feinstaub PM2.5 und PM10 stehen jetzt jederzeit aktuell einsehbar im Internet.
Diese Feinstaubmessstationen wurden von der Stuttgarter Bürgerinitiative entwickelt, die vor Ort entsprechende Probleme schon länger monieren und anprangern.
Kurz nach Inbetriebnahme nahm ich merkwürdige Phänomene wahr mit hohen Feinstaubwerten insbesondere zu Nachtzeiten, außerhalb der üblichen Straßenverkehrszeiten. Wobei das Messgerät in ungefähr 6m Höhe in einer verkehrsberuhigten Straße angebracht ist. (Grafik rechts)
Die Spitze um 12 Uhr könnte noch verkehrsbedingt sein, der geringe Wert kurz vor Feierabend spricht aber dagegen. Überhaupt nichts mit dem Verkehr zu tun hat sicher die Erhöhung zwischen 22 und 02 Uhr. Dasselbe Bild bei den noch gefährlicheren, weil kleineren, PM2,5 Partikeln.
Eine Wiederholung dieses Phänomens mitten in der Nacht, diesmal von 04 Uhr bis 06.30 Uhr, zeigte sich am Dienstag, den 30.05.2017.
Als aufmerksamer Bürger, der sich dann doch glatt eine Frage stellt, nahm ich Kontakt mit dem LANUV NRW(Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) auf, die mich weiter an die Bezirksregierung Arnsbergmit meinem Anliegen verwiesen.
Dort fragte ich an mit unter anderem folgenden Wortlaut:
„Anbei erhalten Sie ausführliche Messergebnisse, die meiner Meinung nach ihr Augenmerk auf die Emissionen der Deutschen Edelstahlwerke in Witten lenken sollten, da hier der Verdacht aufkommt, dass in der Nacht verstärkt Feinstaub freigesetzt wird.“
Daraufhinkam der Stein ins Rollen. Hier die Chronologie:
02.06.2017 die Bezirks Regierung Arnsbergwurde von mir über die beobachteten Überschreitungen informiert, parallel dazu Medien wie WDR, RTL, WAZund Radio EN.
06.06.2017 Radio ENerhält unter anderem eine beruhigende Vorabinfo von der Bez.Reg. Arnsberg
12.06.2017 Erst jetzt erhalte auch ich die offizielle Antwort der Bez.Reg. Arnsberg
13.06.2017 Messwerte der LANUV-Messstationen stehen ONLINE der Bevölkerung nicht mehrzur Verfügung, laut LANUV wegen eines „Hackerangriffs“ auf den Rechenzentrums-Betreiber IT-NRW
26.06.2017 es stehen weiterhin keine Messwerte zur Verfügung
27.06.2017 persönlich Störung beim LANUV Server Betreiber gemeldet
28.06.2017 vergeblich in der aktuellen Sendung Leonardovom WDR 5 um ein Gespräch mit dem Leiter des LANUV, Dr. Klaus Vogt, zu dem Thema gebeten.
29.06.2017 Dr. Klaus Vogt persönlich kontaktiert und um Aufklärung bezüglich gehackter Seiten gebeten sowie fehlende 2016er Jahresmesswerte. Er will sich persönlich darum kümmern, ein Teil steht am späten Nachmittag wieder zur Verfügung.
10.07.2017 Jetzt erst sind die Jahreswerte 2016 wieder verfügbar, nachdem ich am 07.07.2017 nochmals eskalierte.
Hinweis: Alle anderen Seiten des LANUV stehen der Bevölkerung weiterhin zur Verfügung, nicht jedoch die aktuellen Luftschadstoffumweltwerte. Ein Schelm, wer etwas Böses dabei denkt.
Und was hatte die Bezirksregierung Arnsberg noch so geäußert?
„Mit den von Ihnen übermittelten Messergebnissen geben Sie Hinweise auf einzelne nächtliche Anstiege der Feinstaubbelastung und vermuten eventuelle Unregelmäßigkeiten im Betrieb der Deutschen Edelstahlwerke als Ursache hierfür.
Die relevanten Emissionsquellen des Stahlwerkes sind mit kontinuierlich aufzeichnenden Messeinrichtungen ausgerüstet. Die rechtlich vorgegebenen Emissionsgrenzwerte werden eingehalten und deutlich unterschritten. Vom bestimmungsgemäßen Betrieb abweichende Betriebszustände sind nicht bekannt.“
Tja, wenn man nur an den Sollauslassstellen, sprich direkt hinter den Filtern misst, dann mag das o.K. sein, man schaue sich nur mal unsere Titelseite oder untenstehendes Bild von den Edelstahlwerken an.
Verniedlichen sollte diese Staubbelastung niemand, denn wie lautet es selbst im Luftreinhalteplan Witten 2016 zu Feinstaub und NOx?
„Die Auswertungen einer „Feinstaub Kohortenstudie Frauen NRW“10 weisen darauf hin, dass mit einer Zunahme der NO2-Konzentrationen um 16 µg/m3 das relative Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben, um die Hälfte steigt.“
Aber an anderer Stelle wird das mehr oder weniger zurückgenommen:
„Im Jahr 2008 wurde die Immissionssituation in Witten an drei Messorten, Ruhrstraße (NO2), Ardeystraße (NO2 und PM10) und Bodenborn (NO2) erfasst. Da der Grenzwert an den Stationen Ardeystraße und Bodenborn sicher eingehalten wurde, wurden die Messungen dort Anfang 2009 eingestellt. An der Verkehrsmessstelle an der Ruhrstraße wird hingegen seit Beginn der Messung im Jahr 2008 der Grenzwert für Stickstoffdioxid (40 µg/m3 als Jahresmittelwert) nicht eingehalten.“
Das bedeutet: Feinstaub spielt seit 2009 keine Rolle mehr. Was man nicht misst, ist halt nicht da. Nach langem Nachbohren beim LANUV wurde die Messstation WIM3 am Saalbau aufgestellt, die Schwermetalle und Feinstaub PM10 in diskontinuierlicher Messung auf täglicher Basis misst. Genau diese Messwerte, wie die auch die anderen Messstationen, sind gemäß obiger Beschreibung nicht mehr für das Volk aktuell einsehbar. Dabei gestatten Sie mir noch bitte den Hinweis, dass der noch viel gefährlichere Feinstaub PM2.5 (je kleiner, um so körpergängiger) hier gar nicht gemessen wird!
Bei der allgemein durch die Presse gegangenen Überschreitungen der NO2 Werte an der Ruhrstr. werden vielleicht zukünftig verkehrstechnische Maßnahmen die Bevölkerung treffen, dergestalt, dass die Ruhrstr. für den Durchgangsverkehr gesperrt wird und entsprechend in die kleinen Zweigstraßen verlagert wird, wo er noch mehr belasten wird, da diese für ein höheres Verkehrsaufkommen nicht geeignet sind. Das dürfte nicht im Sinne der Bevölkerung sein.
Vielmehr müsste der Mitverursacher, die Deutschen Edelstahlwerke, entsprechend seine Schadstoffausschüttung vermindern, was aber im aktuellen Umweltbericht nicht berücksichtigt wird. Besser noch, wie lautet es so schön im Endbericht Integriertes Klimaschutzkonzept der Stadt Witten aus dem Jahre 2013 auf der Seite 16:
„Die Emissionen von Großemittenten (z.B. Deutsche Edelstahlwerke), die laut nationalem Allokationsplan am Emissionszertifikatehandel 1) teilnehmen, werden - nach Vorgabe des Klima-Bündnisses - nicht mitbilanziert. Diese sind bereits über das Emissionszertifikathandelssystem erfasst und reglementiert.“
Der Handel mit Emissionszertifikaten bezieht sich aber ausschließlich auf CO2. Es gibt keinen Handel oder das Recht, die Umwelt mit Chrom, Nickel, Schwefel oder Selen zu vergiften! Ein Klimaschutzkonzept, das so etwas außen vor lässt, verdient seinen Namen nicht.
Auch der Zertifikatehandel mit CO2 ist abzulehnen, selbst wenn er erlaubt ist. Damit kaufen sich Konzerne unverschmutzte Regionen der Erde, um hier weiter ungestört die Umwelt vergiften zu können.
Die Stadt Witten, in Eintracht mit der Bezirksregierung Arnsberg, erteilen mit ihrem „Klimaschutz“ industriellen Großverschmutzern einen Freibrief. Berechtigte Interessen an einer Vermeidung von NOx greifen sie nur auf, um davon abzulenken.
Schwerlastverkehr: Wer zahlt die Schäden?
Das leidige Thema über den maroden Zustand unserer Straßen ist ein Dauerbrenner. Unser Gastautor Wolfgang Seidel hat dazu in der letzten Nummer unserer Zeitung über die durch Schwerlasttransporte verursachten Schäden aufgeklärt. Nun eine Fortsetzung, weil sich neue und brisante Fakten ergeben haben. (d. Red.)
Sie erinnern sich noch an meinen Artikel mit dem Titel „Ein Heißtransport mit LKW belastet die Straßen 100.000 mal mehr als ein PKW“?
Nun, es hat sich zwischenzeitlich noch was getan. So kannten wir noch nicht die Anzahl dieser Transporte, die unsere Straßen „ruinieren“.
Dank Social Engineering, wie es im Neudeutsch so schön heißt, also geschickter telefonischer Anfrage meiner Frau, die sich einfach mit dem entsprechenden Abfertigungstor bei der DEW (Deutschen Edelstahlwerken) verbinden ließ, lautet nun die Auskunft: so 10 bis 30 LKW pro Tag und das 7 Tage die Woche.
Unter diesen LKW sind die bereits erwähnten 74-t Giganten, die üblicherweise mit 2 Stahlbrammen zu je 20 t beladen werden. Und die etwas kleineren Schwertransporter, die ebenfalls 2 Brammen tragen können mit jeweils 10 t. Also insgesamt jeweils 40t oder 20t Gesamtgewicht, das Eigengewicht des LKW nicht mitgerechnet.
Nach der 4. Potenzregel entspricht die mechanische Beanspruchung der Straßen pro Tag also durchschnittlich ungefähr 15 mal 100.000 PKW Bewegungen, also 1,5 Millionen VW-Golf pro Tag, die unsere Straßen abnutzen.
Die entsprechenden rechnerischen Quellenangaben finden sich für den geneigten Leser in der letzten Ausgaben Witten im AUFbruch Nr. 1-2017 bzw. im Internet unter www.auf-witten.de
Was bedeutet das? Wir, Sie wie auch ich, bezahlen dafür mit unseren Steuergeldern, was da die lokale Stahlindustrie auf unseren Straßen in Grund und Boden fährt.
Wie sich das konkret auswirkt, zeigt die untenstehende Grafik zur Entwicklung der Restnutzungsdauer unserer Hauptverkehrsstraßen in Witten.
Und es kommt noch dicker: denken Sie mal an unsere bergbaugeschichtliche Bedeutung. Da gibt es den Franziska Erbstollen (ca. 4 km lang), der seit 1850 treu seine Entwässerungsdienste leistete und ausgerechnet an der Kreuzung Ruhrstr., Gasstr. und Wetterstr. jetzt eine Verbruchstelle (Bergbausprache) aufweist, die nun mittels städtischer Mittel (Steuergelder) umständlich einen Bypass erhält, da die Einbruchstelle direkt unter der Kreuzung zu unsicher ist.
Die ursprünglichen Instandsetzungskosten explodierten daraufhin von 100.000,- EUR auf 500.000,- EUR aus momentaner Sicht. Der ist noch nicht fertig.
Und wer nutzt und nutzte die Kreuzung mit seinen Heißtransporten? Richtig, die DEW.
Auch die beiden Mühlengrabenbrücken in Witten werden gerade erneuert. Dazu schreibt die WAZ Witten vom 13.7.2017:
„Bei dem Neubau handelt es sich um eine Spannbetonbrücke … Das 1926 erstellte Bauwerk muss neu gebaut werden, weil es nicht mehr aktuellen Standards des Schwerlastverkehrs entspricht.“
Und wer sollte mal beim Hauptnutzer DEWvorstellig werden, um zumindest eine Kostenbeteiligung zu erwirken?Na, unsere Bürgermeisterin, die ja schließlich, zumindest nominell, im Aufsichtsrat sitzt und Geld dafür kassiert. Meiner Meinung nach vielleicht, um dazu zu schweigen?!
Aber bei etwa 30 Nebenjobs kann man sich halt nicht um alles kümmern, Hauptsache wenn ein Fotoreporter erwartet wird springt sie schnell vor die Linse. Der Bürger, dessen steuerliche Belastung, dessen Gesundheit, etwa nebensächlich?
Dafür erhielt sie 2016 insgesamt 33.371,67 Euro. Wer es genau nachlesen will:
http://www.witten.de/rathaus-service/rat/die-buergermeisterin/taetigkeiten/
Unter dem hier-Button öffnet sich eine PDF Datei mit den Nebeneinnahmen.
Interview mit einem DEW-Stahlarbeiter
... doch wie's da drinnen aussieht, geht niemanden etwas an?
Wie in der Operette „Land des Lächelns“ von Franz Lehár schaute NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) bei seinem Besuch am 23. Juni 2014 zur Einweihungsfeier der neuen Sekundärmetallurgie der deutschen Edelstahlwerke Witten (DEW) nur auf die schöne Fassade. Doch trotz neuer Tuchfilteranlage werden weiterhin erhöhte Nickel- und Chromwerte gemessen. Die können nur aus dem Inneren des Stahlwerks kommen. Ein Kollege aus der Produktion klärte uns auf. Seine, aus verständlichen Gründen anonym gehaltenen, Aussagen wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten, vom Wahrheitsgehalt sind wir völlig überzeugt. Eigene Recherchen und zahlreiche Leserbriefe in der örtlichen WAZ in jüngster Zeit zu diesem Thema gehen in dieselbe Richtung.
? Kann Dreck, Feinstaub und Qualm an der Filteranlage vorbei nach draußen?
Stahlwerkskollege (SK): Beim Abstich und Veredeln der Schmelze gibt es in der Stahlwerkshalle einen dichten Qualm, der kann auch über die seitliche Entlüftung nach draußen.
? Wieviel Stahl wird am Tag produziert?
S.K.: Im Stahlwerk Witten steht ein 130 Tonnen Lichtbogenofen, der macht den Stahlschrott flüssig. Das ganze dauert einschließlich Rüstzeiten zirka 2 Stunden. 24 Stunden rund um die Uhr an 7 Tagen der Woche ist der Ofen im Einsatz. Da kommt schon eine ganze Menge zusammen.
? Wie entsteht das fertige Produkt?
S.K.: Um Edelstahl daraus zu machen, werden Zusätze hineingegeben und Verunreinigungen und qualitätsmindernde Bestandteile entfernt.
Welches Produkt hergestellt wird, entscheidet der Kunde. Beim Abgießen in die Kokillen entsteht die spätere Form. Wir nennen das Brammen. Die großen schweren Brammen wiegen üblicherweise 20 bis 40 Tonnen. Die sind entsprechend lang und passen gerade so auf die LKW.
Aus der Stranggußanlage kommen kleinere Abmessungen, ca. 50 x 30 cm dick und 4 m lang.
? Was kommt in die Schmelze hinein?
S.K.: Das ist nicht bei jeder Schmelze gleich, sondern ändert sich je nach spezieller Qualität.
Grob geschätzt kommen pro Schmelze rund 3 t Chrom und 3 t Nickel zum Einsatz, also jeweils zirka 36 Tonnen pro Tag.
? Diese Metalle tauchen im Feinstaub wieder auf. Vom Körper aufgenommen sind sie gefährlich und krebserzeugend?
S.K.: Das stimmt. Es gibt noch das viel gefährlichere Industrie-Selen. Das wird gar nicht erst gemessen. Es ist in einem fingerdicken Aluminiumdraht auf ca. eintausend Meter langen Rollen. Nicht in jeder Schmelze ist Selen, aber es ist hochgiftig und verpufft rund zur Hälfte in die Luft.
? Sonstige Umweltprobleme?
S.K.: Das Gießpulver. Keiner weiß, was drin ist. Man braucht es, damit der Stahl beim Abgießen nicht zu schnell abkühlt. Das Pulver verbrennt und geht so in die Luft.
Außerdem soll sich bei der Hitze auch hochgiftiges Dioxin bilden. Da lässt man uns Arbeiter völlig im Unklaren.
Bei amtlichen Kontrollen ist immer alles ok, doch die nicken wohl alles ab wie der Envio-PCB-Skandal in Dortmund gezeigt hat.
? Hast Du Bedenken, dass Umweltauflagen eure Arbeitsplätze gefährden?
S.K.: Es geht nur um Profit, mit brutaler Konkurrenz auf dem Stahlmarkt. Schmobi (Schmolz & Bickenbach, d.Red.) ist da mitten drin. Doch wenn schon unsere Kinder, die um das Stahlwerk herum wohnen, Nickel und Chrom im Blut haben, kann man da nicht drüber weggehen.
Auch dass wir selbst jeden Tag den Dreck und Qualm schlucken und einatmen, geht gar nicht. Was hab ich von meinem Arbeitsplatz, wenn ich nicht mal ins Rentenalter komme?
Wir sitzen mit der Bevölkerung in einem Boot. Unsere Jugend braucht Arbeitsplätze, aber auch eine gesunde Umwelt, sonst hat sie nichts davon.
Aktiv werden mit und in AUF Witten
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Jahr findet die 23. UN-Klimakonferenz vor unserer Haustür statt - in Bonn, vom 6. – 17. November mit einer Großdemonstration am 11. November als Teil der weltweiten Kritik an dieser Alibi-Veranstaltung.
Im Kampf gegen Giftmüll unter Tage und die unverantwortliche Flutung durch die RAG oder gegen die mit krimineller Energie betriebene mutwillige Vergiftung mit Stickstoffoxiden durch die Autokonzerne treten wir ein für die strafrechtliche Verfolgung der verantwortlichen Vorstände. Auch die von den Behörden in Witten, Arnsberg und von dem LANUV verharmlosten Umweltverbrechen hier in Witten nehmen wir ins Visier.
Eine Stärke dabei, auf die wir zu Recht stolz sein können, ist unsere Überparteilichkeit auf antifaschistischer Grundlage. Bei uns entscheidet nicht das Parteibuch über eine Zusammenarbeit, sondern der Kampf um die gemeinsame Sache.
Unser Ratsmitglied für AUF Witten, Achim Czylwick, hat sich entschieden, für das internationalistische Bündnis hier im Wahlkreis als Direktkandidat zur Bundestagswahl anzutreten. Seine Begründung finden Sie rechts unten im Infokasten. Auf diese Weise kommen auch kommunalpolitische Alternativen von AUF Witten in den Bundestagswahlkampf.
Das ist deshalb möglich, weil wir in unseren Grundsätzen die weltanschauliche Offenheit auch gegenüber revolutionären Perspektiven verankert haben, anstatt uns ängstlich und antikommunistisch davon abzugrenzen. Schließlich geht es ja darum, den Kampf um eine lebenswerte Zukunft in allen Belangen zu führen, da wird jeder gebraucht. Nicht zuletzt, wenn es darum geht, unsere Umwelt vor der Profitwirtschaft zu retten.
Wir schlagen deshalb auch eine gemeinsame Aktion zur UN-Klimakonferenz in Witten vor. Alle demokratischen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen, Einzelpersonen, Familien, Jugendliche, sind herzlich eingeladen, sich aktiv daran zu beteiligen.
Wir ergreifen die Initiative für einen Runden Tisch: am Freitag, 6. Oktober, von 18 - 20 Uhr in der Sportlerklause Witten-Stockum. Gleichberechtigt und auf Augenhöhe soll beraten werden, wie eine gemeinsame Aktion auf die Beine gestellt werden kann, um die Umweltbewegung in Witten zu entwickeln. Denn da ist noch Luft nach oben.
Glück AUF!
„Mit meinen Erfahrungen aus 12 Jahren Ratstätigkeit stelle ich mich als Direktkandidat für die Internationalistische Liste/MLPD im Wittener Wahlkreis zur Bundestagswahl. Unter anderem setze ich mich für den Ausbau der Daseinsfürsorge und für die Entlastung der Kommunen ein! Ich stehe für klare Forderungen auf Kosten der Profite. Wer wirklich etwas ändern will, muss an die Ursachen im kapitalistischen System ran, statt nur dessen Wirkungen abzuschwächen.“ |
Kommende Termine von AUF Witten
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Fr., 06. Okt.: Runder Tisch zum Weltklimatag,
18-20 Uhr, Sportlerklause, Hörder Straße 303, Witten-Stockum -
Sa., 21. Okt.: Infostand Innenstadt, 11 - 13 Uhr mit Witten im AUFbruch Nr. 3-2017
(Zuschriften bitte bis Sa., 07.10.17 an unten stehende Adresse) -
Sa., 11. Nov.: Terminvorschlag für eine gemeinsame Aktion zur Weltklimakonferenz
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So., 12. Nov.: öffentl. Jahreshauptversammlung von AUF Witten,
11 - 13 Uhr, Sportlerklause, Hörder Straße 303, Witten-Stockum