Bessere Luft für Witten! Aber wie?
Witten mit seinem Stahlwerk mitten drin kann die seit Jahren bekannten Probleme der Luftqualität nur lösen, wenn der äußerst gefährliche Mix aus industriellem Feinstaub und verkehrsbedingten Emissionen berücksichtigt wird. Das aber ignorieren sowohl die Bezirksregierung Arnsberg als auch die Stadt Witten in ihrem sog. Luftreinhalteplan: die Emissionen des Edelstahlwerks werden willkürlich auf einen Anteil von drei (!) Prozent herunter gerechnet, industrieller Feinstaub gilt so als vernachlässigbar! Gastautor Wolfgang Seidel untersucht kritisch, wie sowohl die Verwaltung der Edelstahlwerke (DEW) wie auch die Verwaltung der Stadt Witten damit umgehen (d. Red.).
„Umweltschutz“ bei DEW
Die Deutschen Edelstahlwerke gehören zur Schmolz + Bickenbach-Gruppe.
Am 19.06.2017 hatte ich Herrn Heumann (Umweltbeauftragter der DEW) angeschrieben zum Thema „umfassender Nachhaltigkeitsbericht“. Da ich leider von ihm keine Antwort erhielt, wandte ich mich an Frau Antje Gräb (Abt.-Ltr. Umwelt- und Klimaschutz).
„Wann ist eigentlich mit dem angekündigten umfassenden Nachhaltigkeitsbericht 2017 zu rechnen? Im letzten Bericht von 2016 hieß es ja: "Von Seiten des Unternehmens wurde festgelegt, dass zukünftig ein umfassender Nachhaltigkeitsbericht jeweils nur noch alle 3 Jahre veröffentlicht wird. Der nächste Nachhaltigkeitsbericht der Deutsche Edelstahlwerke GmbH wird also 2017 erscheinen."
Auch hier keine Antwort. Erst auf telefonische Nachfrage wurde ich an die Schmolz + Bickenbach AG mit Sitz in Luzern/ Schweiz verwiesen, die dann auch antwortete:
„Für das Jahr 2016 gibt es nur den Kurzbericht. Nachdem wir zukünftig den Themenbereich Nachhaltigkeit/Corporate Social Responsibility für die gesamte Schmolz+Bickenbach Gruppe (in der DEW inkludiert ist) berichten werden, wird kein langer Nachhaltigkeitsbericht von DEW mehr erscheinen. Die Informationen zu DEW werden dann in diesem Bericht (ab Frühjahr 2018 für das Geschäftsjahr 2017) erscheinen.“
Im erwähnten Kurzbericht wird das Thema Umwelt als Rubrik Risikomanagement abgehandelt:
„…Ziel des Risikomanagements ist es, in einem frühen Stadium Gefahren zu erkennen respektive Chancen zu nutzen … So wird es dem Konzern ermöglicht, die strategischen Zielsetzungen zu erreichen und den Unternehmenswert kontinuierlich zu steigern…“
Konkrete Emissionswerte und Dokumentierung von Überschreitungen von Grenzwerten von Nickel, Cadmium usw. wie bisher, sucht man jetzt vergeblich!
Die Umwelt taucht nur noch als „Risikokategorie“ unter vielen auf:
Das passt zu einer Stellungnahme der Stahlindustrie in Deutschland, wo es heißt:
Die europarechtlich nicht geforderte Neueinführung von Schadstoffdepositionswerten stellt in industriell geprägten Gebieten ganze Standorte in Frage und muss deshalb zurückgenommen werden (Nr. 4.5.1, 4.5.2). 1)
Wie schreibt dazu ein anderer Wittener Bürger unter WittenLeaks:
„Die Schadstoffkonzentrationen haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht geändert. Sie sind unvermindert um das bis zu 34 fache über dem Grenzwert. Hauptsächlich die Innenstadt und alle Bereiche mit Blick auf das DEW.
Gemessen wurde der Staubniederschlag u.a. von Nickel und Chrom.
Das bedeutet zuerst mussten wir die Schwermetalle einatmen und was sich nicht in unseren Lungen ansammelte, landete auf dem Kopfkissen und dem Blattsalat und dem Apfel aus dem Garten.
Und was wir immer noch nicht erwischt haben, haben wir dann mit dem Trinkwasser zu uns genommen.
Die Sterbestatistik von Witten beweist es, wir sterben in Witten viel und früher. Und so siechen wir schön leise zu Hause oder im Hospiz vor uns hin, ohne eindeutiges Krankheitsbild, wie Nickel-Vergiftung oder Chrom-Überdosis. Nur Herz-Kreislauf Erkrankungen oder Krebs …“
Mein erstes Fazit also lautet:
• Zuerst nimmt der sog. Luftreinhalteplan DEW aus der Schusslinie.
• Diese Vorlage nimmt DEW dankend an. Postwendend verschwinden die Giftwerte aus der Statistik, so entzieht man sich der öffentlichen Kontrolle!
Soviel zur gesundheitlichen Gefährdung durch industriellen Feinstaub und wie offiziell damit umgegangen wird.
„Umweltschutz“ aus Sicht der Stadtverwaltung
Es verwundert nicht, wenn der sog. Luftreinhalteplan auch im Bereich der verkehrsbedingten Atemluftbelastung versagt, auch wenn die Stadt das gerne anders darstellen will. Doch mit der Initiative der Deutschen Umwelthilfe (DUH) flog der Schwindel auf. Am 25.08.2017musste die WAZ berichten:
Die Deutsche Umwelthilfe hat 61 deutsche Städte im Auge, die den von der EU festgelegten Grenzwert von 40 Mikrogramm um zehn Prozent oder mehr überschreiten. Wittens wunder Punkt ist die Ruhrstraße. Der Jahresmittelwert 2016 lag bei 45 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. 2015 maß das Landesumweltamt 42 Mikrogramm Stickstoffdioxid, 2014 noch 48 und 2013 wieder 51. Wegen dieser Zahlen hat die Bezirksregierung Witten bereits 2010 zum Luftreinhalteplan verpflichtet. Eine Million Euro investiert die Stadt in Maßnahmen, die die Verkehrsbelastung in der Ruhrstraße mindern sollen. Eine Klage hält sie für wenig erfolgversprechend. Stadtplaner Andreas Müller: „Wir haben seit sieben Jahren den Luftreinhalteplan. Seitdem sind die Werte gesunken. Wir geben uns viel Mühe damit, uns sinnvolle Maßnahmen auszudenken.“
Dass die Werte kontinuierlich sinken ist definitiv falsch. Den Trend nach größeren, immer leistungsstärkeren SUV's und Limousinen mit dicken Mogeldieselmotoren hat die Stadtverwaltung wohl nicht mitbekommen. Im selben WAZ Artikel erwägt Herr Müller, entsprechend dem sich bereits als untauglich herausgestellten Luftreinhalteplan, folgende Maßnahmen:
… Tempo 30 auf der Ruhrstraße, ein Linksabbiegeverbot und eine anders getaktete Ampelschaltung. Den größten Anteil an einer Verbesserung habe die Bogestra, so Müller, mit der Umstellung ihrer Busse von Diesel auf Hybrid erreicht. (bisher zwei Fahrzeuge! d. Verf.)„Das sind Maßnahmen, von denen Experten glauben, dass wir einen Wert unter 40 Mikrogramm erreichen werden.“ Bevor ein Dieselfahrverbot kommt, hat Müller einen Plan B in der Schublade. Um den Durchgangsverkehr ganz aus der Ruhrstraße herauszuhalten, würde man die Hauptstraße zwischen Kornmarkt und Rathausplatz sperren, die Ruhrstraße stadteinwärts zur Einbahnstraße machen. Kehrseite: Der Verkehr verlagert sich in die Nebenstraßen, würde durch Oberstraße und Kurt-Schumacher-Straße abgeleitet. Ungern würde Müller deswegen diese Idee umsetzen. „Das müsste die Bezirksregierung dann anordnen.“
Da ist die Katze aus dem Sack.Die Ruhrstraße soll als Durchgangsstraße gesperrt und der Verkehr in die Nebenstraßen verlagert werden. Wie schrieb so schön meine Frau in ihrem Leserbrief an die WAZ und an den Stadtplaner Müller:
„Was hat sich Stadtplaner Müller bei seinem Plan B eigentlich gedacht?
Er will die Ruhrstraße zur Einbahnstraße machen und den Verkehr durch die Oberstraße fließen lassen. Die Oberstraße ist eine verkehrsberuhigte Straße und zudem noch der Weg zum Kindergarten an der ehemaligen Bachschule. Weiterhin ist sie der Schulweg für Schüler der Otto-Schott Realschule und des Berufskollegs und mehrmals am Tag kreuzen ganze Schulklassen des AMG´s die Oberstraße, um zum Sportunterricht in die Husemannturnhalle zu gehen.
Auch wenn Herr Müller diesen Plan B nur ungern umsetzen würde, ist allein schon der Gedanke unverantwortlich und oberflächlich.
Weiterhin frage ich mich, wo die ganzen Hybridbusse fahren, die er in diesem Artikel erwähnt. In Witten ganz bestimmt nicht. Die Frage an Sie ist, ob Sie sich dessen bewusst sind und die örtlichen Gegebenheiten kennen oder ob dieser "Plan B" nur am Computer entworfen wurde.
Eine weitere Frage ist, ob Sie die komplette Oberstraße meinen oder nur den unteren Teil von der Ruhrstraße bis zum Schwanenmarkt?
Ist der Cityring - Ardeystraße, Husemannstraße, Bergerstraße und Breite Straße gar nicht mehr im Gespräch?“
Auf diesen Leserbrief meiner Frau hat Herr Stadtplaner Müller dankenswerterweise geantwortet. Beschwichtigend schreibt er:
„… Mit 232 Fahrzeugen pro Stunde zwischen Ruhrstraße und Schwanenmarkt wäre dann die Oberstraße immer noch eine sehr ruhige Sammelstraße. Natürlich muss man auch dann prüfen, ob bei Plan B nicht noch etwas für die Verkehrssicherheit getan werden muss - zum Beispiel für die Sicherheit auf den Schulwegen. Bis zum Jahre 2019 wird aber erst einmal geprüft, ob die Maßnahmen von "Plan A" nicht ausreichen.“
Die Stadt gibt Geld aus, um die Folgen untauglicher Maßnahmen untersuchen zu lassen, die am Problem nichts ändern. Die Wechselwirkungen von industriellen und verkehrsbedingen Schadstoffen zu untersuchen, darauf kommt sie nicht – obwohl zur Vertuschung die Zusammenarbeit mit DEW ganz gut klappt, wozu auch die Ausnahmegenehmigungen für 74-Tonner Stahl-Heißtransporte über Wittens Straßen dazugehört. Cityring: Fehlanzeige!
Man fragt sich, welche Aufgaben die Bürgermeisterin im Aufsichtsrat der DEW wohl wahrnimmt? Sind es gar die Ziele des Risikomanagements, nämlich die kontinuierliche Wertsteigerung von DEW?
Wo bleiben die Interessen von Wittens Einwohnern an einer guten Luft? Das müssen wir wohl selbst in die Hand nehmen!