50 Jahre politisch aktiv für eine bessere Welt
Wer nicht kämpft, hat schon verloren
AUF Witten ist ein überparteiliches Personenwahlbündnis. Seit unserer Gründung 2003 haben wir den Beweis erbracht, dass es über partei- und weltanschauliche Grenzen hinweg erfolgreich möglich ist, mit entsprechenden Prinzipien eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu verwirklichen. Unser Bündnis wird durch seine verschiedenen Mitglieder repräsentiert, die ihre unterschiedlichsten Fähigkeiten einbringen, um das gemeinsame Ziel eines lebenswerten Witten zu erreichen. Wir stellen Ihnen in loser Folge Mitglieder von AUF Witten vor, die von diesem neuartigen Politikansatz angezogen wurden.
Nach der Premiere (s. Witten im AUFbruch 1-2017, S. 8/9) folgt unser Sprecher im Vorstand Romeo Frey, von Beruf Arzt, bei der letzten Kommunalwahl Kandidat für AUF Witten im Wahlbezirk 15 Sonnenschein/Pferdebach-Nordwest.
? Du arbeitest ja schon sehr lange organisiert politisch. Seit wann und was war für dich die entscheidende Frage dabei?
Romeo Frey (R.F.): Meine ersten politischen Gehversuche machte ich an der Uni Tübingen, wo ich 1967 mit dem Medizinstudium begonnen habe. Das ist jetzt 50 Jahre her. Seitdem bin ich ununterbrochen politisch aktiv.
Da ich aus sehr einfachen Verhältnissen komme und meine Mutter als Fabrikarbeiterin jahrelang alleinerziehend war, bin ich alles andere als auf Rosen gebettet aufgewachsen.
Umso mehr hatte ich den Drang, diesen begrenzten Verhältnissen zu entkommen.
Die Hauptfrage war deshalb immer, ob ich mit dem gesellschaftlichen Aufstieg auch das Erbe, das ich mitbekommen habe, verrate und mich davon distanziere.
Meine Mutter ist von ihrer galizischen Heimat von deutschen Besatzungstruppen als 17 jährige zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Als Mitglied der polnischen sozialistischen Jugend hat sie in mir den Kampf gegen Ungerechtigkeit und für eine Vision einer Welt ohne Unterdrückung und Ausbeutung tief verwurzelt.
Gleichzeitig war sie auch, typisch für Polen, streng katholisch und litt unter dem Status einer alleinstehenden Frau mit Kind, die vom Mann per Auswanderung nach Kanada verlassen wurde.
Das änderte sich, als sie meinen Stiefvater, einen Maschinenschlosser mit REFA Abschluss und Meisterbrief, kennengelernt und dann auch geheiratet hat. Auch er hatte Aufstiegsdenken, verbunden mit Erfahrungen, wie man in zwei Weltkriegen alles verlieren kann. Außerdem war er in Straßenkämpfen und als Saalschutz bei SPD-Veranstaltungen aktiv gegen bewaffnete Nazitrupps. Seine antifaschistischen Erfahrungen waren gepaart mit einer distanzierten Haltung zu bestimmten Leuten in der SPD, die nach dem Faschismus nach oben gelangten. Auch das wurde mir mitgegeben.
? Woher nimmst du den langen Atem und die Hartnäckigkeit für dein Engagement?
R.F.: Zwei Sachen kommen zusammen:
- meine Prägung, dass man nichts geschenkt bekommt und auch, wie leicht einem etwas von der Hand gehen kann, wenn man es von der Pike auf gelernt und durchgekämpft hat.
- die weltanschaulichen Auseinandersetzungen an der Uni im Zuge der 68er. Es war ja eine richtige Massenerscheinung, die etablierten Verhältnisse in Zweifel zu ziehen und die Welt einer materialistisch-dialektischen Betrachtung zu unterziehen. Der Marxismus-Leninismus und die Kritik Mao Tsetungs am Verrat marxistisch-leninistischer Grundprinzipien durch eine neue, in der ehemals sozialistischen Sowjetunion an die Macht gekommene bürokratisch entartetet Bourgeoisie, stieß auf dem Hintergrund des Vietnamkriegs auf große Begeisterung.
Für die Vision einer befreiten Welt übrig geblieben sind letztlich aber nur diejenigen, die bereit waren, das angelesene Wissen bescheiden in der Verbindung mit der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung anzuwenden und sich dabei auch selbstkritisch zu verändern.
Jeglicher Führungsanspruch Intellektueller gegenüber der Masse der Arbeiter und Angestellten bewirktgenau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will. Denn eine von Ausbeutung und Unterdrückung befreite Gesellschaft kann gegen und ohne die breiten Massen nicht erreicht werden. Dass dazu auch wesentlich die Frauen gehören, mussten wir Männer, die wir oft die Frauen im Schatten haben stehen lassen, erst noch lernen.
Aus dieser Kombination entwickelt man die Kraft, denn jeder, der sich in diesem Sinne selbst verändert, macht die Erfahrung, wie aus politischen Mauerblümchen Menschen mit Verantwortungsgefühl, Einfühlungsvermögen und Führungsqualitäten werden können. Man muss die Menschen nehmen wie sie sind, ist aber nicht gezwungen, sie so zu lassen!
? Die Bundesregierung rückt zunehmend nach rechts, mit der AfD ist erstmals seit dem 2. Weltkrieg eine faschistoide Partei in den Bundestag eingezogen. Was bedeutet das für Dich?
R.F.: Das bestätigt mich in meiner politischen Arbeit, zu der zur Zeit hauptsächlich das Engagement in der Montagsdemo und im überparteilichen Kommunalwahlbündnis AUF Witten gehört.
Es gibt ja nicht nur eine zunehmende soziale Ungleichheit, Perspektivlosigkeit für die Jugend, Kriegsgefahr und mutwillige Umweltvergiftung.
Sondern auch den Widerstand dagegen,viele suchen nach einer gesellschaftlichen Perspektive.
Ein wesentlicher Grund, weshalb 1933 der Faschismus in Deutschland trotz einer starken, kämpferischen antifaschistischen Bewegung nicht verhindert werden konnte, war, dass die Arbeiterbewegung gespalten war und dass auf dieser Grundlage die soziale Demagogie der Nazis bis in die Familien hinein die Spaltung vertiefte und wirken konnte.
Eine der Antworten darauf ist, dass wir es lernen müssen, uns zusammenzuschließen über weltanschauliche und politische Gräben hinweg. Das kann gelingen, wenn man in der Lage ist, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und eine Diskussionskultur zu praktizieren lernt, die Unterschiede nicht verwischt, aber immer den gemeinsamen Nenner für ein gemeinsames Handeln an den Kernfragen der Menschheit findet.
Ganz offensichtlich ist das auf der Grundlage der Unterordnung unter die Verwertungsinteressen des globalen Finanzkapitals unmöglich, weshalb auch hier für mich ein klarer Trennungsstrich verläuft: nicht nur zur Profitwirtschaft selbst, sondern auch zu den Kräften, die sich vom Kapital kaufen lassen, um die Protestbewegungen zu spalten und in die Irre zu führen. Dazu zähle ich auch Faschisten und Demagogen, die scheinbar die sozialen Nöte der Menschen aufgreifen, die tatsächlichen Verursacher aber verteidigen.
? Warum bist du Arzt geworden? Hast Du einen Doktortitel und ist der ehrlich erworben?
R.F.: Meine Entscheidung für die Berufswahl Arzt ist ebenfalls aus meiner Biografie nachvollziehbar: der Wunsch nach einer gesellschaftspolitisch sinnvollen Tätigkeit, die mich ausfüllt und wo ich etwas leisten kann. So habe ich mich von Beginn an immer auch für Grenzgebiete der Medizin und alternative Behandlungsmethoden interessiert, weil ich gegenüber einer Beeinflussung der Therapie durch Pharma- und Medizingeräteindustrie kritisch eingestellt war.
Meine ganzen Tätigkeitsfelder in den 40 Berufsjahren aufzuführen, wäre für dieses Interview sicher zu umfangreich:
Chirurgie und Innere im Krankenhaus, kassenärztlicher Notdienst, Kassenpraxis, Arzt für Arbeitsmedizin, Kreislaufambulanz mit Untersuchungen von Leistungssportlern und vergleichbaren Berufen und nicht zuletzt im Rahmen des kinder- und jugendärztlichen Dienstes im EN-Kreis eine vielfältige Vorsorgetätigkeit mit Impfungen, Schuleingangsuntersuchungen, Mütterberatung und Schulunterricht.
Alles habe ich immer mit großem Engagement und einer sehr guten kollegialen Zusammenarbeitmit meinen vorwiegend weiblichen Arbeitskollegen durchgeführt. Mit einigen von ihnen treffe ich mich noch heute regelmäßig zum gemeinsamen Monatsessen, das reihum stattfindet.
Zum Doktortitel: ich habe seit 1973 einen Dr. med. „cum laude“, Für ein „sehr gut“ (summa cum laude) hätte ich mehr Quellen angeben müssen, deshalb „nur“ ein „gut“.
Der Doktor medizinae ist zu 100% echt: zu meiner Zeit wäre ein Plagiat sehr mühsam gewesen. Erst mal alles lesen und dann auch noch abschreiben, da habe ich lieber selbst was erarbeitet.
? Hast Du eigentlich auch Hobbys?
R.F.: Aber sicher, allen voran das Tanzen. Ich lasse heute keine Gelegenheit aus, mit meiner grazilen Partnerin das Tanzbein zu schwingen: in der Tanzschule, bei Tanztreffs und wenn möglich auch auf Galabällen. Im Tanzkreis hat sich eine prima Truppe zusammengefunden, mit zwei anderen Paaren kochen wir sogar regelmäßig zusammen.
Schon als Student, als Tanzen bei Linken regelrecht verpönt war, ging ich mit meiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau ins Tanzcafé.
Dann möchte ich die Musik und das Singen hervorheben. Ich war bei den Sängerknaben, bekam auf einer bischöflichen Musikschule Gesangsunterricht in gregorianischem Choral, leitete später einen Kirchenchor mit dem Höhepunkt der Aufführung einer Messe von Mozart. In der Zeit wurde ich auch zum Organisten ausgebildet. Klavierunterricht erhielt ich bei einer Ordensschwester schon ab dem 5. Lebensjahr. Dazu später Akkordeon bei einem früheren Bar-Pianisten.
Später kam irgendwann auch eine Band dazu und im Rahmen meiner politischen Arbeit viele Kulturauftritte mit Kabarett und selbstentworfenen Sketchen.
Politik dient für mich dem Zusammenleben der Menschen, sie ist Ausdruck dieses Lebens selbst. Kultur gehört dazu wie das Atmen, ohne kulturelles Engagement wäre Politik lebensfremd, abgehoben und blutleer!