Gespräch mit dem Vorstand von AUF Witten:
Kein weiter so, weder in Berlin noch in Witten
Dirk Adamczakprüft seit Jahren als Revisor die Korrektheit der Finanzen von AUF Witten. Von ihm kam, nach der erfolgreichen Jahreshauptversammlung Ende 2017, der Vorschlag, den wiedergewählten Vorstand von AUF Witten zu befragen, wie er den Auftrag der Mitglieder im Jahr 2018 umsetzen will. (Vorstandsmitglied Diana Vöhringer fehlt leider auf nebenstehenden Gruppenfoto wegen eines unvorhergesehenen Termins nach dem Interview)
? Turbulente Zeiten, davon dürfte die Kommunalpolitik nicht unberührt sein?
Romeo Frey (R.F.): Beim Verteilen unserer Zeitung, in Diskussionen auf der Montagsdemo, in persönlichen Gesprächen istkaum jemand einverstanden mit einem Wirtschaftssystem, das alle Lebensfragen dem Profit von Großkonzernen und Banken unterordnet.
Nach dem Abgasbetrug von VW wundert das nicht. Nicht nur die Kumpanei der Bundesregierung mit den Umweltverbrechern wurde sichtbar. VW hat auch der jeweiligen Landesregierung, ob SPD- oder CDU-geführt, das Regierungsprogramm praktisch diktiert!
Ein Spiel mit verteilten Rollen,das wir von der Kommunalpolitik kennen: Vertreter von CDU, SPD und Grüne tun sich vor Ort mit Protest gegen die Unterfinanzierung der Kommunen hervor. Und wissen genau, dass ihre eigenen Parteien in Bund und Land mit voller Absicht den kommunalen Reichtum abschöpfen und die Kommunen mit Gesetzen und Verordnungen in die Schuldenfalle treiben. Daran ändert auch der neue Koalitionsvertrag nichts, der z.B. eine jährliche Steigerung der Rüstungsausgaben und eine verstärkte militärische Präsenz der EU in aller Welt vorsieht.
Auch hat keine einzige der im Rat vertretenen größeren Parteien unsere seit Jahren vorgebrachten umweltpolitischen Enthüllungen und Forderungen aufgegriffen. Die Verwaltung übt sich, egal was angesprochen wird, im Dreiklang Vertuschen, Verharmlosen, Abwiegeln.
? Wie sieht das konkret heute aus?
Diana Vöhringer (D.V.): Der in Witten industriell erzeugte Feinstaub wird sowohl von der Stadtverwaltung als auch von der Bezirksregierung Arnsberg bewusst ausgeblendet. Der Hauptemittent DEW, in dessen Aufsichtsrat die Bürgermeisterin ein schönes Nebeneinkommenkassiert, wird vollständig aus der Schusslinie genommen.
In einer Pressemitteilung haben wir auf die besonders gefährliche Wechselwirkung von industriellem Feinstaub und verkehrsbedingten Stickoxiden hingewiesen. Beim gekürzten Abdruck hat die WAZ-Lokalredaktion beim Leser den Eindruck entstehen lassen, AUF Witten interessierten die Stickoxide und Verbrechen der Automobilindustrie nicht. Als Höhepunkt bezeichnete sie uns gar als „linksextrem.“
Auf Dauer wird es aber nicht zu verhindern sein, dass unsere konsequenten kommunal- und umweltpolitischen Positionen sowie die Kritik an der zerstörerischen kapitalistischen Profitmacherei an Einfluss in der Bevölkerung gewinnen. Vertuschen oder Verdrängen hat noch kein Problem gelöst.
? Welche Auswirkungen auf die Kommunalpolitik seht ihr durch die Ergebnisse der Bundestagswahl?
Ulrich Wagner (U.W.): Die Regierungsparteien von CDU und SPD wurden vom Wähler regelrecht abgestraft.
Gleichzeitig konnte die nationalistische und rassistische AfD in den Bundestag einziehen. Unter anderem machen wir dafür die monatelange Linksextremismus-Kampagne verantwortlich sowie die ständige TV Präsenz der AfD bei allen Talkshows. Das wirkte wie eine Steilvorlage für ihre Wahlpropaganda.
In Witten hatte die AfD zwar keinen Direktkandidaten, erhielt hier aber 5.528 Zweitstimmen bzw. 10,04 %.
Dieses Ergebnis sowie die Tatsache, dass die Großindustrie in NRW mit der CDU/FDP ihre Wunschregierung erhalten hat, bleibt nicht ohne Konsequenzen für unsere Politik.
? Könnt ihr das näher ausführen?
R.F.:Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, die soziale Demagogie der AfD zu entlarven, ebenso wie ihre Rolle als Wegbereiter für eine neofaschistische Massenbasis. Das werden wir verbinden mit der Kritik am Rechtsruck der Landesregierung.
Unsere Positionen in der Kommunal- und Umweltpolitik sowie unsere Grundsätze für eine breite, überparteiliche Bewegung auf antifaschistischer Grundlage sind dafür bestens geeignet.
? Was wird AUF Witten dazu im Rat der Stadt Witten einbringen?
D.V.: Wir stimmen uns regelmäßig mit unseremRatsmitglied Achim Czylwick ab, obwohl er durch einen komplizierten operativen Eingriff seit Oktober 2017 seine Aufgaben im Rat und in unserem Bündnis nicht mehr aktiv wahrnehmen konnte. Demnächst ist aber wieder voll mit ihm zu rechnen.
Zur Beurteilung seiner Ratsarbeit hat er der Jahreshauptversammlung seinen Rechenschaftsbericht schriftlich vorgelegt. Die Mitgliederversammlung bestätigte einstimmig sein Mandat. Zum angesprochenen Thema schreibt er:
„Pro NRW nutzt im Rat jede Gelegenheit, um gegen die Flüchtlinge und Migranten zu hetzen. Das wird vom Rat einheitlich abgelehnt, die Mehrheit dreht sich um oder verlässt den Saal.“
Seiner Meinung nach reicht das auf dem Hintergrund des Aufkommens der AfD aber nicht aus. Diese Einschätzung teilen wir, faschistische, rassistische oder nationalistische Politik erledigt sich nicht von selbst. Wir begrüßen deshalb seine Absicht, sich dafür einzusetzen, dass sich im Rat ein breites politisches Bündnis formiert, das dieser Hetze aktiv entgegen tritt.
Dazu führt er weiter aus:
„Kein Flüchtling hat auf Gesetze und Verordnungen Einfluss gehabt, hat Gebühren erhöht oder Entscheidungengetroffen, dass die maroden Straßen und Brücken, Schulen und Kindergärten nicht saniert werden, der soziale Wohnungsbau eingestellt wird oder dass die Steuern auf die Stromkosten den größten Teil des Preises für eine Kilowatt-Stunde ausmachen.“
? Das ist sicher ein wichtiger Bestandteil einer alternativen Kommunalpolitik?
R.F.: Die Entlarvung der sozialen Demagogie der AfD oder von Pro NRW ist kein Selbstzweck. Es geht ja darum, dass die Lebensinteressen der hier lebenden Menschen durchgesetzt werden und sich niemand durch Spaltungsmanöver davon abbringen lässt, für eine bessere Zukunft einzustehen.
Eine solche Zukunft sehe ich eindeutig nicht, wenn Nationalismus, Rassenhetze und Gewalt gegen Minderheiten die Oberhand gewinnen.
Auch wenn sich ein zunehmender Teil von Menschen von den etablierten Parteien zum Teil angewidert abwendet, bedeutet das ja noch lange nicht, dass sich ihre Probleme in Luft auflösen.
Unsere Alternative Kommunalpolitik, als überparteiliches Personenwahlbündnis, steht für ein neues Verständnis von Parlamentarismus.
Bei uns geht es nicht darum, dass die gewählten Vertreter stellvertretend für die Leute Politik machen.
Statt repräsentative Demokratie,die die Menschen nach dem Wahlgang von der Politik ausschließt, geht es uns um die Einheit von Ratsarbeit und Bewegung vor Ort.
? Wie kommt das an?
U.W.: Diese neue und andere Art und Weise, Politik zu machen, wird von den Etablierten nicht selten als unliebsame Konkurrenz, oft auch als Bedrohung ihrer Pfründe wahrgenommen.
Doch trotz aller Ausgrenzungsversuche sind wir immer offen für eine Zusammenarbeit an den Sachfragen. Dafür steht unser überparteilicher Charakter über Parteigrenzen hinweg. Jeder kann mitmachen, dem es um die Sache geht.
Keine Einheit mit uns aber gibt es für einen perspektivlosen Haushalt, etwa um einen Sparkommissar zu vermeiden. Sollen wir uns aus diesem Grund lieber selbst strangulieren?
Auch können wir die industriellen Umweltverbrechen und ihre Rückendeckung durch Verwaltung und Politik nicht tolerieren! Schluss mit dem Stillschweigen und untätigen Aussitzen von Umweltskandalen!
Unser Maßstab ist eine lebens- und liebenswerte Stadt! Dazu ist es notwendig, die Menschen zu gewinnen, sich für ihre Interessen selbst einzusetzen. Nur so sind wirkliche und positive Änderungen gegen die vorherrschende Umverteilungspolitik denkbar.
Ein „weiter so“ jedenfalls kann es nicht geben: weder auf Bundes-, Landes- noch auf kommunaler Ebene!