Pragamatismus – der vom „gesunden Menschenverstand“ begleitete mit guten Vorsätzen gepflasterte Weg in den Untergang
Eine Kolumne von Romeo Frey – Vorstandsprecher AUF Witten
Liebe Besucherin und lieber Besucher der Homepage von AUF Witten,
die zur Zeit stattfindende Diskussion zum AKW-Aus wirkt auf mich gespenstisch wie ein Tanz auf dem Vulkan. Sachliche, nicht aus dem Zusammenhang gerissene und auf eine lebenswerte Zukunft gerichtete Argumente sind Mangelware. Stattdessen dominieren Befürworter der Atomkraftnutzung wie Friedrich Merz (CDU) oder Markus Söder (CSU) die Szene, von denen man bis heute kaum etwas zur Schädlichkeit der Verbrennung fossiler Energieträger wie Braunkohle gehört hat. Die aber plötzlich das zum entscheidenden Argument erheben, weshalb das Aus der letzten drei AKW ein katastrophaler Fehler wäre.
Die Geneigtheit des Publikums erkaufen sie sich mit Parade-Sätzen des Pragmatismus: „Wie kann man nur so dumm sein …“ oder „Alle anderen setzen auf AKW, nur wir blöden Deutschen …“ oder „wenn sie schon mal am laufen sind …“
Ihnen scheinbar gegenüber stehen die selbsternannten Atomkraftgegner wie Jürgen Trittin (Grüne), die das Aus als ihren größten Sieg feiern. Aber auch sie sind eifrige Verfechter des Pragmatismus. Denn die Laufzeiten der AKW, auf die sie sich all die vergangenen Jahre immer wieder eingelassen haben, waren nur das, was die Kernkraft-Industrie bereit war zu gewähren. In Wahrheit garantierten sie den Atomkonzernen Jahr für Jahr fette Extraprofite. Laut Afa Tabelle des Bundesfinanzministeriums können die entscheidenden Teile der Kernkrafttechnologie in Leichtwasserreaktoren nach 19 Jahren steuerlich voll abgeschrieben werden (1). Ihre Betriebszeit laut Konsensvereinbarung im Juni 2001 der damaligen rotgrünen Bundesregierung mit der Energiewirtschaft ist aber auf durchschnittlich 32 Jahre festgelegt und 2002 im Atomgesetz festgeschrieben worden. 2010 beschloss die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung von CDU und FDP eine Laufzeitverlängerung von 8 bzw. 14 Jahren, die sie nach Fukushima 2011 wieder zurücknahm (2). So blieb es bei der alten Regelung. Ein vorzeitiges Aus der Atomkraft hat es nie gegeben und wird für immer ein Mythos bleiben. Doch das interessiert Pragmatiker wenig. Denn ihr Maßstab ist, alles irgendwie so hinzukriegen und hinzubiegen, dass die Profitwirtschaft floriert.
In der von uns dokumentierten Broschüre der Umweltgewerkschaft können Sie sich selbst ein Bild machen, was vernünftig ist und Zukunft hat und was nicht. Atomkraft gehört definitiv nicht dazu. Die letzte Überprüfung der AKW, die normalerweise alle 10 Jahre stattfinden muss, ist schon 13 Jahre her, im Hinblick auf die fällige Abschaltung hat man großzügig verzichtet. In Frankreich mussten letzten Sommer AKW abgeschaltet werden, weil die Flüsse entweder durch das Kühlwasser überwärmt wurden oder so ausgetrocknet waren, dass es an Kühlflüssigkeit fehlte. Was muss denn noch außer Fukushima und anderen GAU’s passieren, bis akzeptiert wird, dass AKW eine Zeitbombe sind, auf der wir alle sitzen, egal was wir darüber denken? Das einzige was wir aus der derzeitigen Debatte wirklich lernen können: die Zeit der Pragmatiker ist um. Je länger wir sie wurschteln lassen, desto mehr nehmen wir nicht mehr gutzumachende Katastrophen in Kauf.
(2) https://www.base.bund.de/DE/themen/kt/kta-deutschland/laufzeiten/laufzeiten.html
(Bild: AKW Emsland, Foto: RWE)