Wittener Forum Demokratie und Menschenrechte in der Türkei lädt ein:
Repression gegen Linke aus der Türkei in Deutschland
Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Latife Cenan-Adigüzel, dem Rechtsanwalt Yener Sözen und einer solidarischen UnterstützerInnengruppe aus Wuppertal
Dienstag, 24.10.2017. 19:00 Uhr Zum Alten Fritz, Augustastr. 27, 58452 Witten
Die staatliche Repression gegen Oppositionelle in der Türkei hat spätestens seit dem versuchten Militärputsch im Juli 2016 eine neue Qualität erreicht. Wenn Presseberichte und Aussagen von PolitikerInnen zugrunde gelegt werden, ist in der Folge dieser Entwicklung das deutsch-türkische Verhältnis auf einem Tiefpunkt. Die massenhaften Inhaftierungen, die auch JournalistInnen und Menschenrechtler mit deutschem Pass und im Urlaub befindliche Menschen aus Deutschland treffen, haben in Deutschland zu lauter Kritik geführt. Speziell die Inhaftierungen von Deniz Yücel, Mesale Tolu oder Peter Steudtner treffen bis heute regelmäßig auf großes öffentliches Interesse. Viele können deshalb kaum zu glauben, dass die Sicherheitsbehörden der beiden Länder noch immer ungebrochen sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Denn tatsächlich verfolgen die deutschen Polizei- und Justizbehörden noch immer in Deutschland lebende linke Opposionelle im Auftrag ihrer
türkischen Kollegen. Die Vorwürfe und Anklagen, mit denen aus der Türkei stammende Menschen von den deutschen Behörden verfolgt werden, stellen sich dabei häufig als ebenso absurd und irrational dar, wie die in der Öffentlichkeit kritisierten Terrorismusanklagen in der Türkei, mit denen
u.a. die drei oben genannten konfrontiert sind. Die Verfahren, in denen meist konstruierte „Mitgliedschaften in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach §129b abgeurteilt werden, führen fast immer zu mehrjährigen Haftstrafen. Die verhandelten Vorwürfe bilden von Zeitschriftenverkauf über die Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen bis zur Zubereitung von Böreks für Solidaritätsfestivals das ganze Spektrum legaler politischer Arbeit in Deutschland ab.
Oft trifft es schon viele Jahre in Deutschland lebende MigrantInnen. So lebt auch Latife Cenan-Adigüzel bereits seit mehr dreißig Jahren in der Bundesrepublik. Sie wurde im Februar 2017 aufgrund ihrer Bereitschaft, den Vorsitz eines migrantischen Vereins zu übernehmen, zu drei Jahren und drei Monaten Haft wegen einer Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilt, die ihr auch durch die Staatsanwaltschaft während des Prozesses zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen werden konnte. Zur Begründung des Vorwurfes wurde die ohnehin sehr unbestimmte Definition des §129b nochmals über jedes Maß ausgeweitet. Wenn das Urteil in der ausstehenden Revision Bestand haben sollte, stellt es eine wirkliche Bedrohung für alle politisch aktiven Menschen, speziell für in Deutschland lebende MigrantInnen dar.
Aktuell findet zudem eines der größten politischen Verfahren der Nachkriegszeit in München statt. Im gleichen Saal, in dem seit Jahren gegen den rechtsterroristischen NSU verhandelt wird, sind zehn Menschen wegen angeblicher Mitgliedschaft in der TKP/ML angeklagt. Auch ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen. Im Gegensatz zu Latife Cenan-Adigüzel, die bis zur Revision auf freiem Fuß ist, befinden sich die in München Angeklagten inzwischen seit über zweieinhalb Jahren isoliert in U-Haft. Auch das Verfahren in München dehnt den Rahmen für die Strafverfolgung politisch engagierter MigrantInnen über den bisherigen aus, denn den Angeklagten wird die Mitgliedschaft in einer Organisation zur Last gelegt, die bis heute auf keiner deutschen oder europäischen „Terrorliste“ aufgeführt ist.
Entgegen der Behauptungen der türkischen Regierung, nach denen so genannte „PKK-Terroristen“ unbehelligt in Deutschland leben können, werden auch kurdische Menschen immer wieder wegen einer vorgeblichen Mitgliedschaft in der PKK angeklagt. Auch gegen KurdInnen werden §129b-Prozesse geführt, auch hier kommt es immer wieder zu langjähriger Haft. Am 4. September wurde das zunächst letzte Verfahren vor dem Kammergericht Berlin gegen Hıdır Yildirim eröffnet. Und der repressive Kurs gegen KurdInnen wird ebenfalls ausgeweitet – zuletzt wurde durch den Bundesinnenminister die Liste in Deutschland verbotener kurdischer Symbole erweitert, jetzt ist auch die Fahne der nordsyrischen kurdischen Milizen YPG/YPJ verboten.
Bei der Veranstaltung soll über die Verfahren, ihre Hintergründe und Folgen für die Angeklagten informiert werden. Latife Cenan-Adigüzel kann darüber als Betroffene aus erster Hand berichten, Yener Sözen war einer ihrer Anwälte und hat derzeit auch im Münchner Verfahren ein Mandat. Die Solidaritätsgruppe in Wuppertal hat fast das ganze Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel vor dem Düsseldorfer OLG beobachtet.
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