Kein Feinstaubproblem?
2005 reagierte das Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucher-Schutz (LANUV) endlich einmal auf die jahrzehntelangen Beschwerden von Anwohnern über Emissionen vom Edelstahlwerk und stellte einen Messcontainer auf.
2006 wurde somit offiziell bekanntgemacht, dass die Chrom-Konzentration im Staubniederschlag weit über dem zulässigen Grenzwert liegt. Allerdings war der Mess-Container südlich vom Schlackeplatz an der Lessingstraße aufgestellt worden, was die Werte im Mittel sehr viel niedriger ausfallen ließ, denn Südwind ist selten. Damit nicht genug.
Unsere Zeitung Witten im AUFbruch Nr. 3/2007 musste unter der Überschrift „Die Wittener Luft mit ihrem holden Duft“ dazu leider feststellen:
„Nach Protest des angeschuldigten Edelstahlwerks reduzierte das Landesumweltamt flugs die im Jahr 2006 festgestellten Überschreitungen der zulässigen Feinstaub-Grenzwerte rechnerisch (!) von 44 auf 22. Jetzt stimmen die Grenzwerte wieder. Dummerweise ist der Feinstaub auch noch mit Nickel und Chrom belastet.“
Diese Erhöhungen aber hielt Gerald Klawe, damaliger Leiter der städtischen Arbeitsgruppe Umweltschutz „nicht für exorbitant.“
Seine Stelle ist schon lange aufgelöst, doch die nun mehr zuständige Bezirksregierung in Arnsberg scheint auch nicht besser zu sein, erlangte sie doch traurige Berühmtheit durch ihre Untätigkeit im Dortmunder Envio-PCB-Skandal.
So stellt ein Leserkommentar in der WAZ zum unverändert hoch belasteten Staubniederschlag in der Umgebung des Edelstahlwerks durch Chrom und Nickel nüchtern fest: „Die zwischenzeitlich von den zuständigen Behörden veranlassten Maßnahmen zur Eindämmung der Staubemissionen scheiterten also ein ums andere Mal kläglich.“
Ein Artikel der WAZ vom 2.5.2015, der euphorisch über die Einweihung einer neuen Anlage bei den Edelstahlwerken durch NRW-Umweltminister Duin berichtete, forderte eine lebhafte Auseinandersetzung heraus. Denn was geschrieben wurde, widersprach den persönlichen Erfahrungen der Anwohner.
So würde die neue Anlage Sekundärmetallurgie, errichtet mit einem Investitionsaufwand von 50 Millionen Euro, nicht nur die Veredelung des erschmolzenen Stahls verbessern, sondern auch den Umweltschutz.
Nach Angaben des Leiters Anlagentechnik der DEW, Max Heumann, sind beide Teile der neu gebauten Tuchfilteranlage seit August 2013 mit „nahezu doppelt so hoher Absaugleistung in Betrieb“.
Da es sich bei den seit Jahren erhöhten Werten um metallische Staubpartikel handelt, geben sie genau Aufschluss darüber, woher sie kommen. Denn aufgrund ihres Gewichts werden sie nicht weit vom Ursprungsort aufgefunden.
Sollten die Angaben von Herrn Heumann(DEW) zutreffen, hätten sich die Staubniederschläge von Chrom und Nickel in den drei um das Edelstahlwerk herum gelegenen Messpunkten im Jahr 2014 normalisieren müssen.
Die Messwerte aus 2014 aber sind nach wie vor besorgniserregend und außerordentlich hoch:
Chrom,das unter 100 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen sollte, wird mit 1.201,8 Mikrogramm pro Kubikmeter, also um das 12fache erhöht gemessen.Nickel, unter 7,5 Mikrogramm vorgeschrieben, wird mit 148,2 Mikrogramm, also dem 19,7fachen erhöht nachgewiesen.
Wobei wir keineswegs die Methode der Festsetzung von Grenzwerten für richtig und akzeptabel halten. Chrom und Nickel können Allergien und sogar Krebs auslösen, und da gibt es keinen Grenzwert, mit dem das sicher vermieden werden könnte.
Die nach wie vor krass erhöhten Werte zeigen: es geht nicht um Umweltschutz! Bei der 50 Millionen Investition steht offensichtlich der Konkurrenzvorteil im Vordergrund, weil so die immer spezieller werdenden Kundenwünsche an die Qualität des Edelstahls erfüllt werden können!
Der WAZ Kommentar „von Crengeldanzstrasse“ hat wohl Recht mit der Feststellung: „der größte Teil der giftigen Stäube entsteht nicht in der neu ausgerüsteten Sekundärmetallurgie, sondern bei der Erzeugung des Rohstahls im Elektrolichtbogenofen. Und hier bleibt alles beim Alten. … Die sinnvollste Maßnahme, nämlich die Stäube die im Elektrolichtbogenofen entstehen aus der Abluft zu filtern, wurde leider vergessen.“
Ob sie wirklich vergessen wurde, darf angesichts der unglaubwürdigen Behauptung von Herrn Heumann, mit der neuen Anlage würde auch der Lichtbogenofen entstaubt, bezweifelt werden.
Das Beispiel DEW illustriert als Paradebeispiel, wie die Umweltzerstörung zum integralen Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise geworden ist. Perfiderweise wird das, auch noch mit Hilfe der Presse, als Beitrag zum Umweltschutz dargestellt.
Unsere Erfahrungen mit dem Asbestskandal in Stockum, unsere zahlreichen Enthüllungen über vergiftungsbedingte gehäufte Todesfälle von über 50 HP Pelzer Chemie – Arbeitern, unsere Anfrage zum Brand bei HP Pelzer Chemie usw. zeigen, dass auch auf die Arbeit der zuständigen Aufsichtsbehörden kein Verlass ist!Von der Rathauspolitik und den tonangebenden Parteien ganz zu schweigen! Bis heute noch keine Antwort zum Pelzerbrand, außer der Feststellung wie beim Brand im Weichenwerk, dass die Bevölkerung nicht gefährdet sei.
Die Behauptung, Witten habe kein Feinstaubproblem, muss als ein weiterer, ziemlich dreister Versuch gewertet werden, die industriellen Umweltverbrechen aus der Schusslinie zu nehmen.
Wobei klar ist, dass sich die Feinstaubproblematik nicht auf einzelne erhöhte Schwermetallpartikel reduzieren lässt. Feinstaub ist aufgrund seiner mikroskopischen Größe lungengängig und kann, auch wenn keine krebserzeugenden Substanzen nachgewiesen werden, das Reinigungssystem der Lunge überlasten und zum Erliegen bringen – mit fatalen Folgen für den Gasaustausch in der Lunge!
Es gibt noch eine Reihe anderer Fragen, z.B. wie viel Dioxin in Witten durch Stahlerzeugung entsteht? Woher kommt der zeitweilig eklige Geruch? Rühren die erhöhten Stickoxid-Werte nur vom Straßenverkehr, zumal sie sich als Gase von der Schlackengrube des Edelstahlwerks aus in der ganzen Stadt verteilen können?
Wer sich für die allseitigen Wechselwirkungen aller bekannten umweltschädigenden Faktoren interessiert und wie aus dieser Gesamtschau konkrete Handlungs- und Lösungsperspektiven abgeleitet werden, dem empfehle ich persönlich das für mich ultimative Buch dazu:
Stefan Engel KATASTROPHENALARM! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? Taschenbuch, 17,50 Euro, ISBN 978-3-88021-400-2 |
Auszüge aus dem Umweltprogramm von AUF Witten AUF Witten fordert die Umkehr der Beweislast für Betriebe, deren Produktion Schadstoffe freisetzt. Verschärfung der Grenzwerte für Schadstoffe und Elektrosmog. Echte Kreislaufwirtschaft mit örtlichen Biogas- und Kryo-Recyclinganlagen. Damit können wertvolle Rohstoffe zurück gewonnen und regenerative Energie produziert werden, anstelle einer Zerstörung der Rohstoffe durchdie Müllverbrennung. Außerdem werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Für eine echte regenerative Energiewende, die vor allemauch dezentral z. B. durch Kleinwind- oder Biogasanlagen erreichtwerden soll. Diese kommen langfristig dem Gemeinwohlzu gute. Atom- oderKohlekraftwerke dienen nur den Gewinnender Energieriesen. |