Bundestag bewegt sich nicht!
Demokratie in Deutschland?
? Was ist aus der Petition geworden, die Sie 2005 an den Bundestag gerichtet haben?
P.S.: Ich erhielt drei Tage vor Weihnachten die Mitteilung, dass beabsichtigt sei, das Petitionsverfahren negativ abzuschließen. Hauptgrund: es bestünde keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass meine Gesundheitsschädigungen von der Vergiftung bei HP Pelzer kommen würden.
? Was haben Sie daraufhin gemacht?
P.S.: Ich habe sofort zurück geschrieben und Folgendes erläutert:
"Ich war nachweislich Cyanid-Dämpfen ausgesetzt. Aus der Hallendecke der Produktionsstätte, wo ich beschäftigt war, habe ich Proben analysieren lassen, die unter anderem auch Cyanid nachgewiesen haben, nachweislich habe ich mir dort ein toxisches Lungenödem zugezogen – und jetzt sollen alle sich davon ableitenden Folgebeschwerden und Erkrankungen nicht wahrscheinlich daher rühren?
Können ernste Zweifel an dieser Entstehungsursache guten Gewissens geltend gemacht werden, etwa weil die frische Luft auch zu einem toxischen Lungenödem führt? Das ist doch absurd.
Ich möchte nicht wissen, welche Entschädigungen Abgeordnete des Bundestages (erfolgreich) geltend machen würden, wenn etwa in der Decke des Plenarsaales Cyanidreste gefunden würden, die auf eine jahrelange Exposition schließen lassen."
? Was ist Cyanid?
P.S.: Chemikalien, die bei der Firma HP Pelzer eingesetzt worden sind, wandeln sich bei der Verbrennung in Cyanid (Blausäure) und Phosgen um. Cyanid ist das Gift, das im Dritten Reich unter dem Namen Zyklon B zur industriell organisierten Ermordung von Millionen Menschen in Konzentrationslagern gedient hat. Phosgen wurde im Ersten Weltkrieg als chemischer Gaskampfstoff (Grünkreuz) eingesetzt und war für den Großteil der ca. 100.000 Gastoten dieses Krieges verantwortlich. Eingeatmetes Phosgen zersetzt sich in der Lunge zu Kohlendioxid und Salzsäure, letztere verätzt das Lungengewebe. Dies führt nach zwei bis drei Stunden zu quälendem Husten, Blausucht und Lungenödemen und endet meist tödlich.
Bei mir wurde in der Lungenklinik Hemer ein massives Lungenödem und eine ausgeprägte Elastose diagnostiziert. Für mich ist das schon kein Arbeitsunfall mehr, sondern Mord bzw. in meinem Falle versuchter Mord und Menschenquälerei.
Ich hätte vom Deutschen Bundestag erwartet, dass er diesen Zusammenhang akzeptiert. Und nicht nur in meinem, sondern auch im Interesse der Pelzerbelegschaft und der Wittener Bevölkerung tätig wird. Denn es ist doch blauäugig, anzunehmen, dass solche Gifte nur in der Hallendecke bleiben.
? Wie bewerten Sie das Verhalten des Deutschen Bundestages?
P.S.: Für mich ist klar, dass die Lebens- und Existenzinteressen eines einfachen Arbeiters und auch der Bevölkerung beim Petitionsausschuß keine Rolle spielen. Das zeigt schon die Routine, mit der sie auf meine Kritik reagiert haben.
"Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass das Ergebnis der parlamentarischen Prüfungen Sie nicht befriedigt." Dieser im Computer abgespeicherte Satz wird wohl sehr vielen Antragstellern zugeschickt werden. Die Methode des Petitionsausschusses, nur die Gutachten und Stellungnahmen der Behörden zu prüfen, ist für mich der Beweis, dass hier keine Demokratie herrscht.
? Wie soll man das verstehen?
P.S.: Sowohl die Berufsgenossenschaft (BG) wie die Landesversicherungsanstalt (LVA) sind fachdienstlich dem Bundes-Arbeitsministerium unterstellt. Dieses wird politisch von der jeweiligen Regierungspartei geführt, die auch im Petitionsausschuss tätig ist. Offensichtlich ist auch die Opposition nicht daran interessiert, Verbrechen von Kapitaleignern abzustellen und zu verfolgen. Alle, auch die gut bezahlten Gutachter, sitzen in einem Boot – nur der Betroffene wird nass gemacht.
? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
P.S.: Aufgeben ist nicht, ich werde weiter um meine Rechte kämpfen und prüfen lassen, wie die Verletzung meiner Menschenrechte vor dem Europäischen und Internationalen Gerichtshof geltend gemacht werden kann.
Außerdem brauchen wir eine starke Umweltbewegung, die endlich die Beweislastumkehr durchsetzt, wonach die industriellen Verursacher zur Verantwortung gezogen werden.
Wir sollten in Witten einen Anfang machen mit einer starken Bewegung, die Opfer und ihre Angehörigen organisiert. Überhaupt ist die Konsequenz für mich als Arbeiter, dass man nur organisiert eine Chance hat. Deshalb mache ich mit in AUF Witten. Ich kann jedem, der an Veränderung interessiert ist, nur dasselbe empfehlen.